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Was man verpasst, wenn man den neuinszenierten „Lohengrin“ nicht gesehen hat

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Richard Wagners „Lohengrin“ feierte am 3.12.2022 an der Münchner Staatsoper Premiere. Die Musikalische Leitung übernahm am 21.12.2022 Constantin Trinks, da François-Xavier Roth kurzfristig erkrankt war.

Das sogar für Opernverhältnisse überdurchschnittlich alte Publikum in der Lohengrin-Vorstellung am 21.12.2022, ausnahmsweise unter der musikalischen Leitung von Constantin Trinks, lässt daran zweifeln, wie relevant der Stoff von Wagners letzter romantischer Oper für jüngere Generationen noch ist. Zu Unrecht! Denn in Kornél Mundruczós Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper werden gerade jene Aspekte der Handlung mit einer Präzision herausgearbeitet, durch die das Publikum gleichzeitig gefordert, durch die Komplexitäten auf der Bühne begleitet- besonders aber auch mit ur-menschlichen und hochaktuellen Fragen konfrontiert wird.

Ort und Zeit der Handlung bleiben unbestimmt, sodass sich diese Leerstelle dem Zuschauenden geradezu aufdrängt. Dabei lassen sich die Elemente in Monika Pormales Bühnenbild leicht analysieren. Sie spielt mit drei Ebenen: Die Natur dominiert im ersten sowie im letzten Bühnenbild. Dazwischen drängen sich Elemente klassizistischer Architektur- ein Zitat aus Wagners Lebzeiten?
Eine Leerstelle entsteht weniger durch die Elemente aus Natur und Klassizismus als vielmehr durch den die letzte Ebene auszeichnenden Kasten, der jedes der drei Bühnenbilder umschließt. Diese klinisch-weißen drei Wände verfremden den Schauplatz und entziehen ihm jegliche Kohärenz von Ort und Zeit. Gekrönt wird die Verfremdung von einem gigantischen schwarzen Gebilde, das kurz vor Schluss aus dem Nichts herabschwebt.
Wie wunderbar, dass der Regisseur die bildhafte Völle von Wagners Lohengrin-Libretto nutzt, sattgrüne Hügel, Bäume und einen kleinen Teich auf die Bühne bringt, und trotzdem fern von jeglicher Opulenz bleibt, um der Musik den nötigen Entfaltungsraum zu bieten.

Wagner ist bekannt dafür, das Volk wie kein anderer in Szene zu setzen. In Mundruczós Inszenierung spielt es die Hauptrolle. Lohengrin, mit einer Stimme so glasklar und rein wie seine Seele- gesungen von Wagner-Star Klaus-Florian Vogt- kommt hier nämlich nicht (wie im Libretto angegeben) flusswärts von einem Schwan gezogen an, um Elsa- Johanni van Oostrum, ebenfalls mit engelsgleichem Sopran- zu erlösen: Er entspringt aus der Masse, vom Volk erwählt. Was soll das bedeuten?

Die Kraft der Masse diktiert den Verlauf der Handlung. Unmittelbar nach Lohengrins ‚Heldengeburt‘ wird er zur Kultfigur- das Volk segnet ihn mit in die hochgestreckten Armen und einem Blätterzweig. Einheitlich rote T-Shirts und Fahnen erinnern an totalitäre Regime- An China? An die Sowjetunion? An Nazi-Deutschland? An Nordkorea? Blätterzweige und hochgestreckte Arme gleichen eher biblischen Szenen.
Diese (gerechtfertigte) Ambivalenz zwischen Heiland und Führerkult zieht sich durch das ganze Stück.
Auch Elsa wird im zweiten Akt mit den Worten „die Engelgleiche“ angekündigt. Und nachdem Ortrud (Anja Kampe trotz Erkältung mit glänzendem Sopran) später geschickt ihre Zweifel an Lohengrins Integrität in Elsa pflanzt, ist es letztendlich auch das Volk, was plötzlich umschlägt, dem kürzlich noch gottgleichen Held misstraut und Elsa in die Verzweiflung treibt. Sie verfällt durch die immer lauter werdende Skepsis des Volks schließlich in eine Art Trance-Zustand und stellt ihrem Gatten letztendlich die verbotenen Fragen- wer er ist und woher er kommt.
Ja, die Menge ist nicht starr- sie lässt sich beeinflussen, jedoch bewegt sie sich homogen und geschlossen. Wer sich hier nicht fügt wird ausgeschlossen: siehe Ortrud und Friedrich von Telramund (Johan Reuter- nicht ganz so stark wie seine Partnerin). Hier ist das Wesen der Masse durch Kult und Ritus bestimmt. Besonders die beinahe zeremonielle Gestik verweist auf ihre Einheit. Richard Wagner, der mit größter Passion für ein geeintes Deutsches Reich kämpfte, hätte sicher Gefallen an der Darstellung des Volks in Mundruczós Inszenierung gefunden. Damit aber nicht genug, denn auch die musikalische Leistung des Opernchors, unter der Leitung von Tilman Michael, war beispiellos. Daher ist es keineswegs vermessen, diesen Sänger*innen-Korpus als Protagonist zu küren.

Der Lohengrin, den das Volk gebärt, muss zum Schluss wieder gehen. Weil er eine Illusion war? Weil Elsa und die Menge sich den Retter nun herbeigesungen hatten? Das hoffnungsvolle Bild einer Erlösung, die organisch aus dem Volk kommt, ist in Zeiten von brutalen Regimen, Unterdrückung und Krieg stärker denn je. Wie steht die Mundruczó-Inszenierung zu dieser Hoffnung? In einigen Interpretationen des Librettos wird der Lohengrin-Mythos als Parabel zum Konflikt zwischen Heidentum und Christentum gedeutet. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, so ergeben sich, besonders durch die irdische Geburt des Retters, Parallelen zu Jesus von Nazareth. Jesus ist physisch nicht ewig auf Erden geblieben und hat doch, nach christlichem Glauben, nach seinem Ableben eine bessere Welt hinterlassen.
Mit diesem tröstlichen Gedanken geht ein bewegender Opernabend zu Ende. In größter Not kann ein Erlöser, eine Erlöserin aus der Situation geboren werden- Selbst, wenn er oder sie nur temporär wirken, so kann doch langfristige Veränderung herbeigeführt werden.

Leider waren die Menschen, die von solch großer Not geplagt sind, am 21.12. nicht auf den gemütlichen Samtsitzen der Münchner Staatsoper - sie protestieren auf den Straßen Teherans, sie sitzen in eisigen Kellern im Donbass und den Frauen in Afghanistan wird jegliche Freiheit und Würde genommen.
Gewalt, Hunger und Krieg sind in so furchtbar vielen Orten dieser Welt Alltag geworden.
Meine Gedanken sind mit den Menschen, die sich in diesen Tagen nach einem Lohengrin, einem Lohengrin im Sinne eines Hoffnungsträgers sehnen.

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