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Mis en (Mis)Place

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Balam und Ixtab, die Helden unserer Geschichte, sind glücklich. Balam sitzt am Esstisch, zusammen mit Ixtab. Rundherum plaudert und schunkelt und gluckst die Gästeschar. Die Kellnerin tänzelt beschürzt, der Koch zerlegt und zerhackt beherzt, die Kassenkraft quittiert, kalkuliert und telefonisch – telefoniert einer fehlgegangenen Übernachtung für – Zitat Anrufer – “Ein rückgebäudiges Doppelzimmer mit Hofblick“ hinterher. Die Kassenkraft Katharina so in die Sprechmuschel: „Kein Beherbergungsbetrieb unter dieser Rufnummer.“ Balam schmunzelt unterdessen ihrem Hauptspeisenteller entgegen, den ihr die Kellnerin an den Tisch getanzt. Der Hauptspeisenteller ertrinkt im kulinarischen Popanz. Zeit für eine klammheimliche Andacht. Balam beginnt zu beten:
Schnitzel! Oh, du Schnitzel! Das kleingeteilte Kälbchen schippert in der Bärlauchsauce. Keine Hufen strampeln sich ab, das Keratin liegt – zum Futtermehl wiederaufbereitet – in den Futtertrögen, dargeboten den Schnauzenschnaufern und Raspelzungen der Nachgeneration. Nutztier kommt von ausnutzen, nicht von nützlich, sonst hieße es ja Nützlichtier. Die Leiblichkeit des Nutztiers begreift sich als Partikularinteressen. An abzusägenden Gliedmaßen, an bolzenzuschießenden Stirnplatten, am herauszuzerrenden Organpark, an abzuzuzelnder Muttermilch. Das Nutztier ist pars pro toto und minder denn nichts ohne das Alleinstellen seiner Körperteile. Pars ist deine Querrippe, toto bist du Balkencode. Pars ist dein Filetstück, in toto bist du Convenience Good. Pars ist dein Halsgrat, bei toto bist du Beefträger. Bitte, bitte, stirb für mich. Bitte, bitte, leide ungesehen. Bitte, bitte, leg dich mir flach – aufs Meisnerporzellan. Bitte, bitte, kultiviere dich nicht, sei Kulturgut. Amen. In Vino-Sauce Veritas.
Balam entfaltet ihre Hände dem Gebet. Schlingt nun das ihr dargebrachte Huftieropfer hinab. Ixtab tut es Balam gleich, würgt am Knochen eines Geflügels. Also dann: Ein Sammelsurium an Partikularinteressen schwimmt in der Bärlauchsauce. Dergestalt war der Hauptgang zu goutieren: als flacher Rundling, enteignet jedweder Entstehungsgeschichte, oder? Wissen Balam und Ixtab nicht, sind mit Essen beschäftigt. Dann das: die Speisekarte blättert auf und es entsteigt („Klipp! Klapp!“) ein Minotaurus. Aus seinem Maul fahren Rosenkränze, und Kuhfladen drängen aus seinem Popo – Dünger für die Zimmerpflanzen. Der Minotaurus packt Balam und Ixtab, setzt sie sich auf den Schulternacken – einmal links und einmal rechts. Unterm Keuchen und Jauchzen der Restaurantgäste („Hat man sowas denn schon gesehen?“) galoppiert der Minotaurus im Zweifüßlerstand, zusammen mit Balam und Ixtab, hinaus in den Nachmittagsverkehr.
„Wo bringst du uns hin, Bestie in Menschengestalt?“, sagt Balam. Relativ gefasst.
„Bitte friss uns nicht, wir schmecken nach Angstschweiß.“, wimmert Ixtab. Weniger gefasst.
Der Minotaurus schweigt; betritt eine Straße, marschiert selbstbewusst in den Gegenverkehr. Autos bremsen oder weichen aus; werden zertrampelt oder knallen gegen Leitplanken. Doch ein Fahrzeug kennt keine Angst: der mächtige SUV; nimmt Kollisionskurs auf mit Minotaurus. Der Minotaurus hält dagegen. Es kommt zur Kollision. Hörner spießen das Fahrwerk auf („Tsching!“), unter Vorderläufen explodiert die Direkteinspritzung („Krawumm!“), von Hinterläufen wird der Schädel des Steuermanns zermatscht („Knacks!“). Tja, so eine Ein-Minotaurus-Stampede schrottet gekonnt. Balam und Ixtab zupfen und rupfen vergeblich am Nackenfell des destruktiv gewordenen Taurus.
„Hör auf zu morden, du dummes Vieh!“, kreischt Balam. Jetzt deutlich weniger gefasst.
„Ich hätte deine Artgenossen fressen sollen, bevor du aus der Speisekarte gesprungen bist!“, droht Ixtab. Klopft dem Minotaurus gegen die Hörner.
Dann packt Ixtab die Hörner in dem Bemühen, die Marschrichtung des Viehs auf einen Parkplatz, ein Parkhaus, oder – Ixtab ist verzweifelt – auf einen Gnadenhof umzulenken. Vergeblich. Innenstädte kennen keine freien Parkplätze, Parkhäuser oder Gnadenhöfe.
„Wo führst du uns hin?“, verlangt Balam zu wissen, ihr Blick durch die Innenstadt wildernd.
„Dorthin. Ans Ende des Horizonts.“, weiß Ixtab, ihr Blick wird glasig.
Tatsächlich, Ixtab hat Recht. Dort, wo sie hinreiten, wird es dünn wie Nadelstreifen. Sie nähern sich dem Horizont, diesem Nadelöhr, durch das kein Minotaurus passt. Die Horizontlinie wird begrenzt vom Aquamarin des Himmels und Kackbraun des Ackerlands – dazwischen ragt hervor: eine Eiche. Wo sind die Häuser, Straßen, zertrampelten Autos hin, fragt sich Balam. Wo sind schrillende Polizeisirenen und schreiende Menschen abgeblieben, wundert sich Ixtab. Bald wird klar: die dreiköpfige Reisegesellschaft hat den städtebaulichen Speckgürtel verlassen. Man hält Kurs auf die Eiche; sich quetschend aus der Horizontlinie.
Und „Zack!“ stehen Balam, Ixtab – und natürlich Minotaurus – der Eiche entgegen. Der Wuchs des Baums ist beachtlich. Das Blätterdach schabt am Himmelsgewölbe, die Landschaft zieht sich – zitternd vor Ehrfurcht – in die Peripherie zurück.
„Was ist denn das für ein eigenartiges Obst?“, fragt Balam.
„Das ist kein Obst. Das sind Menschen.“, weiß Ixtab. Und muss weinen.
„Weine nicht, Ixtab. Sicher wird uns nicht widerfahren, was die da hat baumeln lassen.“ In Balams Stimme nicht der Anflug von Angst oder Zweifel. Das erkennt Ixtab und muss noch heftiger weinen.
„Wieso hörst du nicht auf zu weinen, Ixtab?“
„Ich weine, weil du es nicht tust, Balam. Ich weine, weil niemand da ist, um die gehangenen zu beweinen.“, sagt Ixtab. Balam wird still, muss selbst noch immer nicht weinen.
Durch einen Tränenschleier oder nicht: Balam und Ixtab gucken das Eins-Komma-Fünf- bis Zwei-Meter-Fallobst. Balam und Ixtab gucken die Frucht des Baums. Diese Frucht heißt: Kulturmensch. Der Minotaurus packt die erste Frucht – von Sonne satt gegerbter Bub –, wirft seine Hauer in den Leib, schlürft dem menschlichen Fallobst das kognitive Kapital – ohnehin lahmgelegt – aus der Hirnschale. Sehr delikat! Doch oh weh: Restspuren Cannabis, ruhend im Leichenschmaus, bringen den Minotaur zum Schwanken – und Balam und Ixtab gleich mit.
„Hey, du Huftier! Wo bleibt dein Gleichgewichtssinn?“, beschwert sich Balam. Ixtab kann nicht sprechen, muss ja noch immer weinen.
Der Taurus wechselt zum zweiten Gang. Geht dazu über, einem gottesfürchtigen Geisteswissenschaftler – Leckerbissen der Saison! – die Katechese, den heiligen Geist und die Ewigkeit aus der Großhirnrinde zu knabbern.
„Bei allem was Urbi et Orbi ist! Ganz famos, diese Katachese!“, posaunt der Minotaur, just beseelt vom freien Sprechen. Ein Mirakel in Wort und Ton.
„Da… da-da… das Mirakel des Minotaurs?“, blubbert Ixtab zwischen Seufzer und Schniefer. Richtig, Ixtab, das Mirakel des Minotaurus! Und Ixtab so weiter, denn die Hufen des Mirakels greifen nach den Beiden: „Hey-hey-hey! Nimm deine Hufen von uns, du dreckiges Nutztier!“
Doch es ist bereits zu spät. Der Minotaur klappt dem Menschenpaar die Kiefer auf, pflanzt die Beiden auf spitze Äste, bis Balam um eigenen Blut gurgelt und Ixtabs Tränen sich mit Eigenurin vermischen – Ixtab macht sich vor Angst in ihre beste Sonntagshose. Balam und Ixtab schneiden die Äste durch die neuronalen Schlauchgänge, geben den Weg frei für Baumharz, der in ihren Hirnschalen aufgeht, die Gehörgänge verklebt und verschließt. Balam und Ixtab, die Helden unserer Geschichte, sind tot.
Mise en Place
Minotaur grast, nach Paarung mit einer Minotaurendame, auf ihrer flora incognita. Drumherum schwirrt und sirrt und surrt die Insektenparade. Das Trüffelschwein buddelt bestürzt, das Faultier wird geschüttelt von Schlafkrämpfen, der Hahn recht, pickt und kräht – kräht eine im Zenit stehende Sonne an. Minotaur sabbert unterdessen seinem Kulturobst entgegen, den ihm das Trüffelschwein mit der Schnauze zugeschanzt. Balam und Ixtab, zubereitet zu Ossobucco, schwimmen im eigenen Saft. Zeit für eine gutturale „Muh!“-dacht. Minotaur beginnt zu beten:
Kulturmensch! Oh, du Kulturmensch! Die dahingereifte Ixtab wippt im Blätterkleid. Keine Adiletten strampeln sich ab, die Geldscheine liegen – zur Kompostierung vorherbestimmt – im Erdreich, nährstoffspendend dem Wurzelwirken und Stängelstehen der Generation Garten dienlich. Kulturmensch kommt von Ess-Kultur, nicht von Kultur an sich, sonst hieße es ja „Kultiviere dich, Mensch!“. Die Kultiviertheit des Kulturmenschen begreift der Minotaur als Fähigkeit zur opponierbaren Geisteshaltung. Als stillgelegte Denkfähigkeit, als konsumgedachte Einfalt, als „Cogito, ergo dumm!“, and als wegzurationalisierende Ambiguität. Der Kulturmensch ist mehr Schein denn heilig, wäre mehr denn scheinheilig ohne die Herdentreiberei seiner Meinungsbildung. Heilig ist dein Gemeinschaftssinn, Schein deine Zivilisation. Heilig dir die Erdneuzeit, unheilig dir das Erdaltertum. Heilig der Krieg mit Genozid, Schattenboxen der mit Ökozid. Bitte, bitte, denk für mich. Bitte, bitte, belaste dir den Kopf. Bitte, bitte, dezentriere deinen Ethnozentrismus, sei divers. Abgang. Vom Kapitalisten zum Naturalisten mit nur einer Mahlzeit.
Minotaur klappt seine Hufen aus dem Gebet. Reißt nun am, im Eigenanbau produzierten, Kulturmenschen. Die Minotaurendame tut es Minotaur gleich, zermalmt einen biegbaren Daumen.

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Mis en (Mis)PlacePatrick Poti
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