Eine Ode an die Weiblichkeit? Die Bedeutsamkeit der Frau in Fellinis 'i Vitelloni'
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In seinem Film ‚i Vitelloni‘ (1953), italienisch für die großen Kälber, erzählt Federico Fellini eine Coming-of-Age-Geschichte von fünf jungen Männern und skizziert darüber hinaus liebevoll und in neo-realistischem Stil das Wesen einer italienischen Kleinstadt der Nachkriegszeit.
Zermürbt und bedeutungslos liegt ein adriatisches Dorf, seinem Schicksal ausgeliefert, an der Meeresküste. Der Krieg hat ihm jeden Charme entzogen, sodass es nun, nackt und gepeinigt, mit letzten Kräften dem beißenden Küstenwind standhalten muss. Der Faschismus hat seine Spuren hinterlassen.
In seinem Film ‚i Vitelloni‘ (1953), italienisch für die großen Kälber, erzählt Federico Fellini eine (heute würde man sagen) Coming-of-Age-Geschichte von fünf jungen Männern und skizziert darüber hinaus liebevoll und in neo-realistischem Stil das Wesen einer italienischen Kleinstadt der Nachkriegszeit.
Die jungen Männer scheinen jede Menge Spaß zu haben. Zusammen feiern sie, zusammen trinken sie, reißen Mädels auf und spielen sich auf wie die Helden der Stadt. Aber das Feiern, die gute Laune- alles ist von einem Schleier der Gleichgültigkeit bedeckt. Plötzlich muss besonders einer der Jungen, Fausto, Verantwortung übernehmen, denn er wird ungeplant Vater, was dazu führt, dass er- ob er es will oder nicht- die Mutter des Kindes, Sandra, heiratet. Das geht nicht ganz spurlos an dem Rest der Bande vorbei.
Es ist ein beklemmender Film- ein ungemütlicher Film. Nicht zuletzt aufgrund der kargen Landschaften, des lustlos plätschernden Meeres und der entseelten Kleinstadt, in der die Geschichte sich abspielt. Aber nicht nur die Szenerie ist von Leere gezeichnet. Auch die fünf Protagonisten sind von einer beispiellosen Gleichgültigkeit befallen. Womöglich hat ihnen der Krieg die Jugend geraubt, die sie nun versuchen nachzuholen.
Mein emotionaler Tiefpunkt des Films ist ein Karnevalsfest. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen brausender Ekstase und Groteske. Nachdem alle Gäste am nächsten Morgen längst nach Hause gegangen sind, endet das Fest am angebrochenen Tag mit den ohrenbetäubend und klagend schiefen Klängen einer Trompete. Nur Moraldo, der Nachdenkliche- Alter-Ego von Fellini- mit Begleitung und Alberto sind noch auf der Tanzfläche. Alberto- das Muttersöhnchen, der Clown, eine sehr Fellinesque Figur- brüllt den Trompeter an er soll endlich aufhören- aufhören!!! zu spielen… und torkelt hinaus aus dem Festsaal ins Freie. Es ist bemerkenswert, dass folgende Worte ausgerechnet von dem betrunkenen ‚Clown‘ Alberto kommen: „Ihr seid doch alle Niemand!!!“, fährt er seinen Freund Moraldo, der nüchtern und gesammelt scheint, an.
Die Jungs sind allesamt Niemand- es ist wahr. Sie sind niemand denn sie leben für nichts und sie sterben für nichts. Sie sind weder aneinander noch an sonst irgendetwas ernsthaft interessiert. Sie haben keinen moralischen Halt, sie lügen, sie stehlen, sie leben nur vom Geld ihrer Schwestern und Eltern und vergeuden den Tag. Sogar wenn sie alle im gleichen Raum, wenn sie alle beisammen sind, fällt auf, dass sie sich gegenseitig nie in die Augen sehen. Niemand hat sich mehr wirklich etwas zu sagen. Dennoch- die Art und Weise, mit dieser Leere umzugehen ist bei jedem der Jungen ganz unterschiedlich. Leopoldo beispielsweise meint ihr zu entkommen, in dem er sich in den Intellekt gräbt, versteckt sich jedoch nur vor der Wahrheit- dass auch er in den Kleinstadt-Strukturen und letztendlich in sich selbst gefangen ist und nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Alle Fünf wissen aber: Diese Leere ist schon wenigstens halbvoll, wenn Frauen ins Spiel kommen.
Und diese Frauen geben, vielleicht nicht auf den ersten, aber spätestens auf den zweiten Blick, den Ton an. Die Frauen, allen voran Sandra, wissen genau was sie wollen. Sie stehen zu ihrer Meinung, verdienen eigenes Geld, sie können ehrliche Emotionen zeigen und vor allem wollen sie Sex- auch vor der Ehe.
Fausto begegnet immer wieder verführerischen Frauen, die, anders als er, den Sex nicht zur Selbstbestätigung, sondern aus purer Lust brauchen. Er ist den Frauen schutzlos ausgeliefert. Seine Ehefrau Sandra schöpft zwar Verdacht, verwirft den Verdacht jedoch mehrmals, da Fausto wie ein bettelnder Hund nach Ausrutschern mit verschiedenen anderen Frauen immer wieder bei Sandra ankommt und ihr weis macht, sie sei die Einzige für ihn. Es dauert aber nicht allzu lange, da bestätigt sich Sandras Verdacht endgültig. Kurzerhand beschließt sie, dass sie das Kind auch alleine großziehen kann und verschwindet. Hier überwiegt das Gefühl von Stärke ihrer Zuneigung zu Fausto. Letzterem wird bewusst, was für eine Lusche er ist und beginnt, vollkommen aufgelöst nach Frau und Kind zu suchen.
Auch hinter Alberto steht eine starke Frau: Es ist seine Schwester, die mit ihrem deutlich älteren Liebhaber (nicht Ehemann!), durchbrennt. Da sie es war, die letztendlich für das Familieneinkommen gesorgt hat, bleibt er nach ihrer Abfahrt ziemlich blöd und verloren zurück.
Besonders auffällig ist, dass keiner der Männer dem Weinen einer Frau standhalten kann. Jede verkörpert auf ihre Weise nicht nur eine Mutter- sondern darüber hinaus auch eine Marienfigur. Illustriert wird diese Parallele durch Fellini’s ständiges Aufgreifen religiöser Motive- dem Auftreten unzähliger christlich-allegorischen Figuren.
Zeigt eine Frau ihre Gefühle, so brechen die Männer- auf eher lächerliche Weise und eigentlich grundlos- in Tränen aus. Das ist in erster Linie auf ihre bubihafte Haltlosigkeit zurückzuführen, sicherlich aber auch darauf, dass die Frauen in 'i Vitelloni’ die moralische Instanz darstellen.
Was hat der Film mit mir gemacht? ‚I Vitelloni‘ ist nicht mein liebster Fellini-Film. Seine späteren Filme, wie ‚La dolce Vita‘ oder ‚8 1/2‘ sind künstlerisch deutlich ausgefeilter. Dennoch ist es wahnsinnig spannend, die Grundzüge Fellini’s späteren Stils schon in diesem Film auszumachen. ‚I Vitelloni‘ ist zweifelsohne eine Skizze für das knapp sieben Jahre später erschienene Meisterwerk ‚La dolce Vita‘. Das Vergleichen der beiden Filme macht großen Spaß und jedem, den das interessiert, empfehle ich unbedingt, erst La dolce Vita und dann i Vitelloni anzusehen. Für Diskussionen stehe ich sehr gerne zur Verfügung:)
Aber ‚i Vitelloni‘ geht für mich letztendlich noch über diese Skizze hinaus. Zwei Wochen nach der Kinovorstellung bewegt er mich nach wie vor. Denn auch wenn ein Gefühl von Beklemmen während des Schauens überwog, so ist es weniger die Leere des Films, die mich jetzt bedrückt, als viel mehr die unglaublich starken Frauen, die mir einen differenzierteren Blick auf das Weibliche gewähren.
Diese Frauen kommen aus einer Generation, die lange großenteils ohne Männer klarkommen musste. Sie stemmten neben ihrem Haushalt die komplette Wirtschaft selbst, während ihre Brüder, Männer und Väter die Schlachten des zweiten Weltkriegs austrugen. Sie waren durch die grausamen Umstände gezwungen, unabhängig zu werden, was einen schmerzvollen, aber wichtigen Schritt in Richtung Emanzipation darstellte.
Auch Fellini, Jahrgang 1920, kommt aus dieser Generation. Die Frauen in seinen Filmen stellen feinstens ausgearbeitete Charaktere dar- immer auf ihre Weise selbstbestimmt, oft sexuell aufgeladen, jedoch nicht auf eine männlich dominierende, herabwürdigende Art, sondern aus einer weiblich selbstbestimmten- einer nonkonformistischen- Perspektive. Und was oberflächlich als Schwäche gewertet werden kann, zeugt doch letztendlich von Stärke: Denn Fellinis Frauen sind gefühlvoll, nicht weinerlich.
In seinen Filmen thematisiert er immer wieder diese feine aber überaus bedeutende Unterscheidung durch die außergewöhnlichen und gleichzeitig sehr gewöhnlichen Frauenfiguren, die er darstellt und schafft ein Bild von Weiblichkeit, mit dem er uns Frauen bewegt… und einlädt, uns mit diesen vielschichtigen, starken Charakteren zu identifizieren.